Die Landwirtschaft im Alpenraum ist seit längerem im
Umbruch. Hatten die Bauern früher nur mit den Widrigkeiten
des Gebirges zu kämpfen, so sind sie zunehmend der Konkurrenz
des Marktes ausgesetzt. Die Wirkungen sind in verschiedener
Form auch in der Landschaft sichtbar. Auf gut erreichbaren
und maschinell bearbeitbaren Flächen intensivierte man
die Produktion und versucht größtmögliche Erträge
zu erzielen. Dagegen zeichnet sich ein ganz anderer Trend auf
Grenzertragsböden ab, d.h. in schwer zugänglichen
und maschinell nicht bearbeitbaren Lagen. Besonders betroffen
davon sind Almflächen, Bergheumähder oder Hochgebirgswälder.
Beide Entwicklungen sind mit schwerwiegenden ökologischen
Gefahren verbunden.
Eine schleichende Entwicklung
Dem ungeschulten Beobachter fallen die schleichenden Entwicklungen
kaum auf. Mitunter dauert es Jahrzehnte bis Jahrhunderte
bis sich auf einer ehemals genutzten Wiese oder Weide wieder
Wald einfindet. Diese Entwicklung verändert auf diesen
Flächen die Vegetations- und Bodenverhältnisse
und das Landschaftsbild. Solche Übergangsstadien bergen
zahlreiche Gefahren in sich: Bodenanbrüche und Lawinen
treten gehäuft auf. Auch landwirtschaftliche Intensivierungen
sind nicht immer offensichtlich. Während Umstellungen
von Grünland auf Obstbau in der Landschaft noch gut
erkennbar sind, fallen Intensivierungen, insbesondere in
der Grünlandwirtschaft nicht unmittelbar ins Auge.
Durch Düngung geht die Artenzahl langsam aber sukzessive
zurück. Aus den farbenfroh blühenden Wiesen bleiben
häufig nur mehr artenarme, vorwiegend grüne Rasenflächen
zurück. Langfristig kann es ferner zu Veränderungen
im Boden- und im Gebietswasserhaushalt kommen.
Viele dieser Folgen werden erst durch geeignete Untersuchungen
oder... bei plötzlichen Katastrophen sichtbar. Die Untersuchungen
im Forschungsprojekt INTEGRALP "Ökologie und Bewirtschaftung
alpiner Systeme" sind vor diesem Hintergrund zu sehen.
Das Projekt war im Programm INTERREG-II- Italien/Österreich
1994-2001 eingebunden.
Das Projekt INTEGRALP
Im Projekt INTEGRALP untersuchten Wissenschaftler die Auswirkungen
von Bewirtschaftungsänderungen (Extensivierung, Brachlegung,
Intensivierung, Umwandlung von Mähwiesen in Weiden,
Aufforstung) im Gebirge. Im Vordergrund standen wichtige
Fragen im Zusammenhang mit der Erhaltung des Berggebietes
als Lebensraum:
•
Wie wirken sich Bewirtschaftungsänderungen auf die Vegetation
und Wiederbewaldung aus?
•
Welche Rückkoppelung lassen sich für Wildbach -und
Erosionsdynamik erwarten?
•
Wirken sich Bewirtschaftungsänderungen auf das Entstehen
von Gleitschneelawinen aus?
•
Welche Folgen ergeben sich für den Wasserhaushalt (Oberflächenabfluß bei
Gewitterregen, Wasserspeicherungsvermögen des Bodens,
Trinkwasserreserven )?
Unsere Ergebnisse?
Extensive Wiesennutzung
Bei den Untersuchungen kristallisiert sich klar heraus: Aus ökologischer
Sicht erweist sich die extensive Wiesennutzung (1 Schnitt/
Jahr, kaum gedüngt) als die beste Bewirtschaftungsvariante
auf hochgelegenen Wiesen. Auf den durch die sommerliche Mahd
kurz gehaltenen Grasstoppeln gleitet im Winter der Schnee
weniger leicht als auf den aufgelassenen Wiesen mit ihren
platt gedrückten Langgrasteppichen. Die extensive Wiesennutzung
fördert ferner die Pflanzenvielfalt. Dadurch wird das
Heu schmackhafter und medizinisch wirksamer. Ganz nebenbei
bieten sie auch noch einen interessanten Lebensraum für
zahlreiche Insekten.
Die dichtere Durchwurzelung in diesen Wiesen "hält" den
Boden besser zusammen und verhindert dessen Aufbrechen. Der
höhere Anteil anfallender organischer Substanz verbessert
die Bodenstruktur und damit das Wasserspeichervermögen.
Der Oberflächenabfluß und der oberflächliche
Abtrag von Bodenpartikeln wird reduziert
Wiederbewaldung
Die Wiederbewaldung von Flächen verbessert vor allem
den Gebietswasserhaushalt: Der zunehmende Baumbestand und
die positive Wirkung des Waldes auf den Wasserhaushalt führt
bei Starkregenereignissen zu einem abgefederten Abfluss des
Wassers. Die Gewalt der Wildbäche wird somit gedämpft.
Ferner sind in einem naturnahen Wald Schneegleitphänomene
und Erosionen selten. Eine flächendeckende Neubewaldung
auf aufgelassenen Wiesen und Weiden bedeutet jedoch gleichzeitig
die Vielfalt der Landschaft und der Arten zu verringern.
Die Landschaft wird "dunkler" und viele Kulturlandschaftsformen
verschwinden
Extensive Weidenutzung
Große Teile von Bergmähdern wurden in Weideflächen
für Rinder, Ziegen und Schafe umgewidmet. Die extensive
Beweidung erfolgt heute meist unbeaufsichtigt und daher kleinflächig
sehr unterschiedlich. Die Vor- teile der Bewirtschaftung
sind vor allem eine hohe Landschafts- und Artenvielfalt.
Weiters wirkt sich die Beweidung positiv auf das Gefahrenpotential
aus. "Viehganglen" verhindern ein Abrutschen der
Schneedecke und verringern die Bildung von Erosionsanrissen.
Eine angepasste Beweidung verhindert die flächendeckende
Wiederbewaldung und hält die Landschaft mit vergleichbar
geringem Aufwand offen und attraktiv.
Leider treten diese Vorteile erst bei stabilisierten Weideflächen
auf. Der einsetzende Weidegang und die damit verbundene Zunahme
der Verletzungen an der Grasnarbe führen auf ehemaligen
Mähwiesen zu einer erhöhten Erosionsbereitschaft.
Durch Verbiss schädigt das Weidevieh zudem Jungbäume
und bewirkt eine deutliche Wachstumsverzögerung. Gerade
in diesem Fall zeigt sich, wie wichtig Kenntnisse traditionellen ökologischen
Wissens bei den Bauern ist.
Intensive Wiesennutzung
Eine intensive Wiesennutzung in Hochlagen (1-2 Schnitte pro
Jahr, Düngung und maschinelle Bewirtschaftung) bringt
ohne Zweifel einige Vorteile für den Bauern. Die mäßige
Düngung erhöht die Nährstoffe im Boden und
damit den landwirtschaftlichen Ertrag und die Qualität
des Futters. Längerfristig überwiegen jedoch
die ökologischen Nachteile. So verschwinden zahlreiche
Arten und es verringert sich die stabilisierende Durchwurzelung
im Boden. Durch den notwendigen Bau von Erschließungswegen
wird an vielen Stellen die vorher geschlossene Bodendecke
angebrochen. Dort erhöht sich der Oberflächenabfluss
und der Bodenabtrag. Weitere Folgen sind eine höhere
Erosionsanfälligkeit und Blaikenbildung durch die
künstlichen Böschungsanschnitte entlang der Straßen.
(Erich Tasser Ulrike Tappeiner: Accademia Europea –Bozen)
InfoINTERREG Nr. 5/ 2001 |